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Beitrag vom 08.04.2009
This Charming Girl von Lee Yoon-ki
Claire Horst
Dieser koreanische Film erfordert Zeit und Geduld. Sehr langsam macht der Regisseur die ZuschauerInnen mit seiner Protagonistin vertraut. Jeong-hae ist etwa dreißig. Sie lebt allein und...
... arbeitet bei der Post. Ihr einziger persönlicher Kontakt scheint der zu ihren Kolleginnen zu sein, ebenfalls jungen Frauen, mit denen sie nach der Arbeit essen oder mal ein Bier trinken geht.
Ihre Freizeit verbringt sie ansonsten in ihrer Wohnung, wo sie entweder ihre Pflanzen pflegt oder auf dem Sofa liegend fernsieht. Stundenlang schaut sie Werbesendungen und Kochshows mit ungeteilter Aufmerksamkeit. Bei diesem Leben, das unglaublich öde wirkt – schon beim Zuschauen dehnen sich die Minuten – langweilt sie sich jedoch nicht. Jeong-hae macht einen ausgeglichenen und ruhigen Eindruck. Sie ist nett und unauffällig gekleidet, freundlich zu KundInnen und MitarbeiterInnen und unterbricht ihren Alltag entgegen ihrer Gewohnheit, um ein Katzenkind zu adoptieren, das sie unter einer Hecke im Hof gefunden hat. Eine nette, durchschnittliche Frau.
Lee lässt seinem Publikum Zeit, um Jeong-hae kennen zu lernen – ein Verfahren, das aus einem anderen koreanischen Film, Bin Jip, bekannt sein dürfte. In Erinnerungsfetzen, die ihr durch den Kopf gehen, zeigt er ihre Familie. Besonders oft denkt Jeong-hae an ihre Mutter, die verstorben ist und mit der sie liebevolle Erinnerungen verbindet. Als Jeong-hae mit einem Mann essen geht, wird deutlich, dass sie einst die Hochzeit mit ihm kurzfristig platzen ließ. Er fordert eine Erklärung – und die Zuschauerin fragt sich mit ihm, was der Grund für Jeong-haes Rückzug war. Hat es etwas mit der Mutter zu tun?
Ein einziges Mal wagt sie es, sich einem Menschen anzunähern. Einen Mann, der häufig Briefe aufgibt und einen etwas schüchternen Eindruck macht, lädt sie zum Essen ein. Doch er kommt nicht. Später nimmt sich Jeong-Hae eines betrunkenen Jugendlichen an. Ihn kann sie sogar in den Arm nehmen, als er weint - ihre eigenen Freundinnen beschweren sich immer über ihre Reserviertheit. Bei dieser Gelegenheit bricht in Jeong-Hae etwas auf, das vielleicht die Erklärung für ihre Versteinerung sein könnte.
Sehr reduziert spielt Kim Ji-soo, die bislang vor allem Fernsehrollen übernahm, die in sich gekehrte und beherrschte Jeong-hae. Gefühlsleere, innerer Rückzug, Vorsicht bei jedem Kontakt mit der Umwelt sind die Charakterzüge, die sie vermittelt. Die Kamera folgt ihr dabei überall hin und ermöglicht so einen tiefen Eindruck von der Einförmigkeit ihres Alltags. Minutenlang sammelt Jeong-hae Haare vom Fußboden auf, verteilt Katzenfutter im Fressnapf, gießt ihre Blumen. Im Kinosessel rückt man ihr dabei sehr nahe, fast wirkt es, als habe man eine rätselhafte Freundin vor sich, eine jener Personen, die man sehr gern hat, über deren wirkliche Gefühle man jedoch nichts erfährt.
Der Regisseur sagt über seine Hauptfigur: "Aus Angst davor, diesem Gefühl [der Liebe] ausgesetzt zu sein, versteckt sie sich. Ihre schmerzlichen Erinnerungen sind wahrscheinlich Teil des ursprünglichen Grundes für dieses Verhalten, aber vor allem ist sie von Natur aus so ein Mädchen." Er möchte den Heilungsprozess eines "einfachen Durchschnittsmenschen" zeigen, "die Geschichte einer Figur, die in den meisten Filmen normalerweise nicht erzählt werden würde."
Ganz nebenbei ermöglicht der Film einen Einblick in das alltägliche Leben in Korea, ein Leben, an dem Actionfilme wie Park Chan-Wooks "Old Boy" oder "Lady Vengeance" weniger interessiert sind. Gerade seine Langsamkeit vermag es, die Zuschauerin an Details zu gewöhnen, die sonst vielleicht gar nicht auffielen. Alte Bäuerinnen, die auf dem Markt Kräuter verkaufen, die Zubereitung eines koreanischen Essens mit unendlich vielen Beilagen, eine Bürokratie, die jeden Brief auf dem Postamt zu einer tagesfüllenden Beschäftigung macht, die Angestellten, die erst in die Mittagspause gehen dürfen, wenn der Chef die seine beendet hat – das alles ist so ganz anders als das uns Vertraute, und dennoch sind viele Alltäglichkeiten sehr ähnlich.
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Bin Jip - Leere Häuser von Kim Ki-Duk, Ein ganz einfaches gepunktetes Kleid - Moderne Erzählungen koreanischer Frauen
AVIVA-Tipp: Wer die Ruhe mitbringt, um sich auf den Film und seine Hauptfigur einzulassen, wird belohnt. Nicht nur gelingt dann das, was dem Regisseur vorschwebte, wenn er vorhatte, "unter die Oberfläche der Dinge zu sehen und so hoffentlich das Besondere an dieser jungen Frau sichtbar zu machen." Den Kinosaal verlässt man mit der Hoffnung, Jeong-hae möge die Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte gewinnen, so nah ist man ihr beim Zuschauen gerückt. Beiläufig weckt "This Charming Girl" zudem Neugier auf ein Land, über das hierzulande wenig bekannt ist.
Zum Regisseur: Lee Yoon-Ki war 2005 mit "This Charming Girl" und 2009 mit "My Dear Enemy" auf der Berlinale vertreten. Er wurde am 1. Juli 1965 in Daejeon, Korea, geboren und studierte zunächst Betriebswirtschaft an der University of Southern California. 1994 produzierte er Kim Jin-hans Kurzfilm "Contempt", bevor er 1995 seinen ersten eigenen Kurzfilm "My Kind of Love" realisierte. "This Charming Girl" ist Lee Yoon-kis erster Spielfilm. Zur Zeit bereitet er seinen nächsten Film "Love Talk" vor, in dem es um die Einsamkeit koreanischer EinwandererInnen in den USA geht. Weitere Informationen unter www.hancinema.net
This Charming Girl
Originaltitel: Yeoja, Jeong-hae
Korea 2004
Buch und Regie: Lee Yoon-ki
Kamera: Choi Jin-woong
DarstellerInnen: Kim Ji-soo, Hwang Jeong-min, Kim Hye-ok, Lee Dae-yeon, Lee Geum-ju
Lauflänge: 99 Min., OmU
Verleih: Arsenal – Institut für Film und Videokunst e.V.
Starttermin: 16. April 2009